Das Problem mit Rammstein – Musikalisch

Das Problem mit Rammstein – Musikalisch

  • 1. Dezember 2023

Abseits von den vielen Berichten über Till Lindemann ist das, was 2023 passierte, auch musikalisch einer Betrachtung wert. Ob und wie wer verurteilt werden muss, dazu möchte ich mich nicht äußern und überlasse dies den Gerichten.

Eines vorweg: Vor allem für die Musik gilt die Unschuldsvermutung.

Ein bisschen Geschichte

Sprechen wir von Rammstein, dann sprechen wir auch über Heavy Metal. Dieser kommt ursprünglich aus dem Rock; dazu gehören Hard Rock, Blues Rock und Psychedelic Rock. Heavy Metal etablierte sich in den 1970er Jahren und die ersten bekannten Vertreter waren bspw. Led Zeppelin, Black Sabbath und Deep Purple. Über die Entstehung des Wortes Heavy Metal, gibt es durchaus umstrittene Hypothesen, aufgestellt auch vom früheren Manager Jimi Hendrix:

“[Heavy Metal] was a term originated in a New York Times article reviewing a Jimi Hendrix performance.” (Havers 2023)

In besagtem Artikel soll der Autor die Musik als „like listening to heavy metal falling from the sky“ beschrieben haben. (Havers 2023)

Rammstein wird der Neuen Deutschen Härte zugeordnet oder kurz NDH. Entstanden in den 1990er Jahren aus dem Groove Metal zeichnet sich die NDH musikalisch durch deutschsprachigen Metal mit Techno Elementen, Synthesizern, Drumcomputern und einer Instrumentierung mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang aus. Weiters setzten Musik und Text mittels Inszenierung auf Schockmomente. Vorreiter war die Band Ooomph, die von Sepultura und Pantera beeinflusst war.

NDH als Begriff hat sich durch das erste Album von Rammstein Herzeleid etabliert, wurde es doch in den Medien mit der Neuen Deutschen Welle verglichen. Wie bei der NDW macht es einer vor, in diesem Fall Rammstein und viele machen es nach. Die Band Schweisser war, in puncto Gesangstiefe und dem rollenden R ein wichtiges Vorbild für Rammstein.

Seit den 2000er Jahren hat sich NDH nicht nur weltweit in den Mainstream bewegt, sondern hat sogar Einzug in den deutschen Schlager und volkstümliche Musik gehalten. Hier sei nur an die Kooperation von Marianne Rosenberg und Schweisser erinnert oder auch Heinos Album Schwarz blüht der Enzian sowie sein Auftritt mit Rammstein in Wacken 2013.

Die Kritik, dass sich die NDH im Nahfeld des Rechtsextremismus aufhält, ist durchaus berechtigt. Abgesehen von der bewussten Nutzung der NS-Ästhetik etc. sind es vor allem Bands wie die mittlerweile aufgelöste Formation Weissglut und deren Album Etwas kommt in Deine Welt die mit großer Besorgnis zu betrachten sind. Hierzu ein Auszug des Sozialwissenschaftlers Thomas Pfeiffer:

 „[…] erstmals im Nachkriegsdeutschland [kam] ein Tonträger mit rechtsextremistischen Bezügen auf den Markt, der in den hochprofessionellen Strukturen eines Weltkonzerns [entstand] und sich mit guten Erfolgsaussichten an ein Massenpublikum [richtet].“ (Bendikowski & Pöppmann 2003)

Was Rammstein betrifft, so zeigt auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung, dass es in der Darstellung der Band immer zu einer Überspitzung kommt (musikalisch und auch visuell) und sich aus dieser auch Widersprüchlichkeiten unterschiedlichster Art aufzeigen lassen. Und natürlich ist die Provokation ein wesentlicher Teil der Inszenierung.

Das Problem – Musikalisch

Jeder hat so seine Lieblingsmusik und Bands. Oft bemerken wir auch bei uns selbst ein mangelndes Verständnis für andere Genres, wie bspw. Schlager und volkstümliche Musik. Musik und Emotion sind allerdings ein Dream-Team, was im Artikel Emotion und Werbung bereits näher erläutert ist.

Stellen wir uns nun einfach mal vor, ein geliebtes Familienmitglied, vielleicht unsere Großmutter, liegt mit großen Schmerzen im Krankenhaus. Während der Show von Florian Silbereisen mit den 1 Million Lichtern hat sie allerdings keine Schmerzen, ist abgelenkt, glücklich und summt auch am nächsten Tag die Musik vor sich hin.

Das klingt doch gut, oder?

Wenn der kleine Max, der in der Schule regelmäßig explodiert, durch Heavy Metal ein Ventil gefunden hat, sich auszupowern und dadurch seine Emotionen und sich selbst besser im Griff zu haben,ist das doch großartig, oder?

Für jede Musik, sofern sie nicht durch Propaganda missbraucht wird, gibt es einen Abnehmer und jemanden, der sich durch sie besser und emotional aufgehoben fühlt.

Kurz gesagt: Jedes Genre hat seine Berechtigung.

Heavy Metal macht Studien der California University mit knapp 400 Probanden zufolge gut und glücklich, zusätzlich senkt sie angeblich den Blutdruck. (Howe u. a. 2015) Die australische Universität von Queensland hat herausgefunden, dass „Head banging“ den gleichen Effekt wie eine Umarmung haben kann und Heavy Metal einen selbstregulatorischen Einfluss hat. (Queensland u. a. 2015)

Mit der Causa rund um Rammstein kommen allerdings die Vorurteile vergangener Zeit wieder hoch, wie bspw. Heavy Metal würde für Gewalttaten verantwortlich sein und die Menschen verrohen. Hier sei angemerkt, nicht die Musik macht Menschen gewalttätig, sondern es sind die Menschen selbst. Oder Heavy Metal ist für Proleten und sowieso nur Krach. Die Komplexität und Virtuosität des Heavy Metal wird auch vom Kunsthistoriker Jörg Scheller aufgezeigt:

„Heavy Metal ist hochgradig strukturiert, Grundbaustein ist das Riff. Das Genre reizt die Möglichkeitsräume harter Rockmusik aus: Das Tempo ist hoch, es geht darum, in den Soli zu brillieren, infernalisch zu grunzen und zu schreien oder in einer Art Sirenengesang zu exzellieren – was technisch durchaus anspruchsvoll ist.

Wer sein Instrument nicht beherrscht, wird es in der Szene schwer haben.“ (Scheller 2020)

Ein weiteres Vorurteil bezieht sich auf die Texte der Heavy Metal Bands und dass diese gewaltverherrlichend seien. Wenn die Musik für Propaganda missbraucht wird, dann trifft dies vollkommen zu und der Vorwurf ist völlig korrekt. Allerdings gilt das nicht für den Mainstream und auch nicht für Rammstein.

Warum plädiere ich für den Einsatz von Rammstein im pädagogischen Bereich?

Durch die Aufmachung, die Härte der Musik etc. ist man geschockt und meint, die Texte müssten böse sein. Hört man sich danach den Schlagersong von G.G. Anderson Nein heißt ja, von Sigrid und Marina Zweimal Nein heißt einmal Ja oder von Andrea Berg Du hast mich tausendmal betrogen  an und sieht wie die Leute mitklatschen, dann wird einem erst recht bewusst, dass die wenigsten Gäste den Text wahrgenommen oder verstanden haben. Aber der Schlager kommt eben wesentlich sympathischer daher.

Und so hoffe ich, dass der musikalische Wert des Heavy Metal auch in Zukunft erkannt wird und viele Hörerinnen und Hörer weiter glücklich macht.

Weiterführende Literatur